Die Geschichten hinter den Sammlungen: Ihre Erzählungen im Rampenlicht

Das Herzstück jedes Sammlers liegt nicht nur in den Gegenständen, die er sorgfältig auswählt und bewahrt, sondern auch in den Geschichten und Bekanntschaften, die mit jedem Stück verbunden sind. Jedes Münz- und Briefmarkenalbum birgt eine Fülle von Erlebnissen, Emotionen und Erinnerungen. Manchmal sind es Geschichten von Abenteuern und Entdeckungen, manchmal sind es Erzählungen von Familie, Freunden oder bedeutenden Momenten im Leben. Als Reaktion auf unseren Aufruf „JEDER Sammler hat eine Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt!“ haben wir lustige, beeindruckende und berührende Erzählungen aus der ganzen Sammlerwelt erhalten.

Heute präsentieren wir Ihnen zwei Anekdoten aus dem Leben.



Meine (Lieblings-)Sammlergeschichte

Gewöhnlich verbringe ich einige Wochen im Jahr in Jerusalem. Auch dort konnte ich schon manche interessanten Stücke für meine Sammlung (neben den Marken von Altdeutschland und des Kaiserreichs hauptsächlich Briefe des 19. Jh. mit Bezug zum deutschen Judentum) bekommen. So etwa auf dem Antikflohmarkt, der gewöhnlich jeden Donnerstag an der Jaffa-Straße stattfindet. Vor einigen Jahren entdeckte ich dort einen Stand mit Briefmarkenalben, die vor allem deutsche Marken aus der Zeit zwischen den Weltkriegen enthielten. Hinter dem Tisch stand ein älteres Ehepaar, der Kleidung nach – der Mann mit Kippa und Vollbart, die Frau im hochgeschlossenen Kleid mit Hut – modern-orthodoxe Juden. So kramte ich mein bestes Hebräisch zusammen und teilte dem Mann mit: „Ani ossef rak bulim min hasman lifnei hamilchemet haolamit harishona (ich sammle nur Marken aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg).“ Daraufhin wendete er sich seiner Frau zu und sagte in breitestem Sächsisch: „Du, der will nur die oldn Sochen, die hamm’r aber heute gor nich dabei, nich wohr?“ – Die weitere Unterhaltung fand dann auf Hochdeutsch statt und am nächsten Donnerstag konnte ich von ihnen ein paar schöne „alte Sachen“ erwerben.



Bergedorf, Berlin und Helge. Abenteuerliches.

„Ich kann mich gut an eine vielleicht merkwürdige Geschichte erinnern.

Seit meiner Kindheit sammle ich Briefmarken, und besonders haben es mir Marken und Belege aus meiner Heimat Bergedorf angetan. In den 90er-Jahren habe ich mich besonders auf das doch schwierige Gebiet Altdeutschland-Bergedorf konzentriert. Besonders Briefe und auch Briefstücke waren (und sind) „heikel“, schwer zu bekommen, sehr teuer und es gab und gibt oft Fälschungen.

Im September 1991, kurz vor meinem 50. Geburtstag, entdeckte ich im „Sammler-Express“ oder einer anderen Sammlerzeitung, aber ich glaube mich erinnern zu können, dass es der alte „se“ war, ein interessantes Inserat. Ein privater Sammler aus Berlin hatte einen Brief mit der 3-Schilling-Marke von Bergedorf angeboten, zudem noch mit dem seltenen Kirchwerder-Stempel versehen. Ich war schon lange und bis dato erfolglos auf der Jagd nach wenigstens einem Briefstück mit diesem seltenen Stempel. Aber man konnte als Bergedorf-Sammler schon froh sein, wenn man echte Marken mit dem Bergedorfer Strichstempel sein Eigen nennen konnte. Nicht nur der Bergedorf-Sammler weiß, dass die fünf Marken der kleinen Stadt zwischen Hamburg und Lübeck nur kurze Zeit, sechs Jahre, gültig waren und nur in einem relativ kleinen Gebiet zu verwenden wurden. Echt gebrauchte Briefmarken und Belege sind dementsprechend selten, sehr teuer und man konnte froh sein, überhaupt echt gebrauchte Marken in seiner Sammlung zu haben.

Nun war da das interessante Inserat. Leider war der Inserent nicht telefonisch erreichbar, man mag sich daran erinnern, dass es Anfang der 90er-Jahre in Ost-Berlin ebenso wie im ganzen Osten kaum Telefonanschlüsse gab. An Handys war noch gar nicht zu denken, und auch das Internet war – wenn ich mich recht erinnere – gerade geboren und damals praktisch nutzlos beim damaligen Stand der Technik. Also nahm ich per normaler Post – das war damals ebenso üblich – Kontakt mit dem Herrn aus dem Inserat auf, machte mir aber gewohnheitsmäßig kaum Hoffnungen. Wenn ich den Text des Inserates noch „zusammenbekomme“, stand etwa so etwas in der kleinen Anzeige:

„Aus Altersgründen in gute Hände abzugeben: AD Bergedorf. Mit Belegen, Bergedorf Lipsia/Michel Nr. 3 auf Brief, mit Kirchwerder-Stempel, geprüft, mit Attest, Preis VS. Adresse …“

Der Mann hatte noch weiter Inserate im Anzeigenteil platziert, mit Hamburg und Lübeck-Stücken, aber ich war von dem Bergedorf-Brief „paralysiert“. Ich ahnte, dass das teuer werden würde, und ich wollte keinen Ärger mit Vera, meiner Frau, obwohl sie immer wohlwollend meine Sammlerleidenschaft nicht nur toleriert, sondern unterstützt hat. Aber wir reden hier über einen mindestens mittleren vierstelligen DM-Betrag, der dieser Brief kosten würde. Und da war noch die Frage nach der Echtheit. Ich würde mir, sollte eine Kaufvereinbarung zustande kommen, den Brief persönlich abholen und das nicht näher beschriebene Attest genauestens ansehen. Mit gemischten Gefühlen, Vorfreude und etwas schlechten Gewissens wegen der nicht abgesprochenen, größeren Ausgabe, schrieb ich einen Brief an den Inserenten.

Ein paar Tage, vielleicht eine Woche später erhielt ich einen großen Umschlag aus Berlin. Erwartungsvoll öffnete ich den Umschlag, er war natürlich von dem Inserenten aus Ost-Berlin. In seinem langen, mit einer alten Schreibmaschine auf offensichtlich ebenso altes Papier getippten Brief schrieb er mir, dass er seine jahrzehntelang aufgebaute Sammlung verkaufen möchte, vieles war zudem geerbt. Er war Pensionär, wollte mit dem Geld aus dem Verkauf seiner wertvollen Schätze auf Weltreise gehen, jetzt, wo es nach dem Zusammenbruch der DDR möglich war. Es war auch eine Fotokopie des Bergedorf-Briefes beigelegt, ebenso eine Kopie des zugehörigen Attestes. Dieses Attest war handschriftlich verfasst und war auch schon etwas älteren Datums, soweit ich mich erinnern kann. Die Kopien waren, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, von überaus schlechter Qualität, aber gut genug, um mein Interesse zu wecken. Ich schrieb Herren „Schneider“, ich nenne ihn hier so (es ist nicht sein richtiger Name), dass ich Interesse an dem Brief hätte und fragte, wie wir uns vereinbaren könnten.

Drei Tage, wenn ich mich richtig erinnere, später, klingelte das Telefon. Überraschend stellte sich der Anrufer als der Herr Schneider aus Berlin vor und es entwickelte sich ein angenehmes Gespräch. Er erzählte mir, dass er von einer Gaststätte unten im Haus anriefe, weil er kein Telefon hatte, es gab im ganzen Haus in der Bötzowstraße in Berlin-Prenzlauer Berg nur dieses eine Telefon im Café unten. Um es kurz zu machen: Herr Schneider war mir sehr sympathisch, er schien ein Philatelist der „Alten Schule“ zu sein, ich hatte das Gefühl, einen Sammlerfreund am kennengelernt zu haben. Beim Preis einigten wir uns auf 7500 D-Mark, welche ich mitbrächte und, wenn alles seine Richtigkeit hatte, auch nicht „herunterhandeln“ würde. Selbstverständlich gäbe es einen ordentlichen Kaufvertrag. Trotz meines schlechten Gewissens wegen der doch sehr hohen Ausgabe spürte ich Vorfreude, auch auf meine Reise nach Berlin.

Allerdings stand meine Reise von Anfang an nicht unter einem „guten Stern“. Es begann schon beim Fahrkartenkauf. Ich komme aus Weener, das ist in Ostfriesland in der Nähe von Leer. Da meine Frau an diesem Tag das Auto brauchte, für einen Termin mit unserer Tochter Sabine, nahm ich das Fahrrad. Es sind etwa zwölf Kilometer von meinem Haus bis zum Bahnhof in Leer, ich freute mich auf eine entspannte Radtour an einem sonnigen, nicht allzu windigen Tag.

Auf halbem Weg hatte ich einen „Platten“. Mit meiner Luftpumpe konnte ich nicht viel ausrichten, ich hatte mir den Hinterreifen kaputtgefahren. Bis Leer waren es noch etwa sechs Kilometer „Schieben“, und ich hoffte, Vera könne mich nachher mit dem Auto aus Leer abholen. Nun gut. Ich schob. Kurz vor Leer zog es sich zu, das ist in Ostfriesland, nahe an der Küste, nichts Ungewöhnliches, auch wenn es nicht „alle naselang“ passierte. Der folgende heftige Platzregen verdarb mir für eine kurze Zeit die gute Laune. Völlig durchnässt und vom scharfen Wind durchgefroren kam ich im Bahnhof an. Aber es war geschafft. Ich suchte mir eine Verbindung von Weener nach Oldenburg heraus, von dort aus sollte es nach Hamburg weitergehen, und von Hamburg konnte ich direkt zum Bahnhof Berlin-Zoo durchfahren. Alles in allem würde die Reise etwa zehn Stunden dauern. Ich notierte mir alles auf einen Zettel und stellte mich am Fahrkartenschalter an. Buchte die Fahrkarten bei der netten Fahrkartenverkäuferin, und wollte zahlen. Ich hatte meine Brieftasche vergessen.

Das war es also für heute. Meine eben noch halbwegs gute Laune war nun völlig verdorben. Mit dem letzten Kleingeld aus meiner Hosentasche rief ich Vera zu Hause an. Sie war noch nicht zurück und ich sprach ihr auf den Anrufbeantworter, was passiert war und dass ich vor dem Bahnhof auf sie wartete. Mein letzter Groschen fiel klappernd in den Apparat, und ich hoffte, dass ich nicht allzu lange warten musste.

Und ich wartete. Vier Stunden, ungefähr. Und ohne zu wissen, wie lange noch. Glauben Sie mir: die Handys heute sind Gold wert. Vera war mit dem Auto länger in Papenburg, einer anderen Stadt ganz in der Nähe gewesen, das hatte länger gedauert. Sie hatte mit unserer Tochter Sabine noch irgendeinen Termin, ich hatte nicht nachgefragt, Frauensachen. Und ich hatte nur meinen Brief im Kopf. So war Vera erst am frühen Abend zu Hause und ist sofort nach Leer gefahren, nachdem sie den Anrufbeantworter abgehört hatte.

Versöhnlich stimmte mich das gute Abendessen, Bratkartoffeln mit Rührei. Und ausnahmsweise ein „Haakebecks“. Alles wieder gut.

Meine Fahrkarte kaufte ich eine Stunde vor der Zugabfahrt am Montag der folgenden Woche. Die Zugreise selbst lief ohne Probleme, keine Verspätungen, hatte einen Sitzplatz, alles ging glatt. Fast.

In Berlin hatte ich mich völlig verfahren. Normalerweise hätte ich mir ein Taxi genommen, aber ich wollte ob der großen Ausgabe sparsam sein. Vera hatte mir deswegen – vielleicht ungewollt – ein schlechtes Gewissen „verpasst“. Sie hatte gesagt, wir müssen „für den Fall der Fälle“ ein paar Rücklagen haben. „Wir können nicht wissen, ob wir mal für irgendetwas Geld brauchen, was wir nicht planen können“, sagte sie in der Küche, morgens vor meiner Abreise. Ihr damals verschwörerischer Unterton war mir erst viel später ins Gedächtnis geraten, in diesem Moment nicht. Aber ich hatte ohnehin ein leicht schlechtes Gewissen wegen des hohen Preises für den Brief. Der allerdings mit einer gehörigen Portion Vorfreude übertüncht war.

Jedenfalls versuchte ich zu sparen. Ich kaufte mir also für eine Mark achtzig damals ein BVG-Ticket. Und fuhr dann mit der S-Bahn in die falsche Richtung. Als ich endlich in der Bötzowstraße angekommen war, hatte ich mich schon um etwa drei Stunden verspätet. Die Bötzowstraße ist eine alte Berliner Straße mit damals noch unsanierten Altbauten und Kopfsteinpflaster. Die ohnehin schon lauten Trabis ratterten noch lauter über die holprige Straße, aber die dichten, alten Straßenbäume gaben der altehrwürdigen Berliner Straße ein für mich damals unbekannt harmonisches Bild. Hektisch suchte ich das richtige Haus, und natürlich, das ist immer so, wenn man keine Zeit hat, lief ich erst mal in die falsche Richtung. Die Bötzowstraße in Berlin ist lang. Ich versuchte, mich an Cafés zu orientieren, weil ich wusste, dass in dem Haus eines war, aber was soll ich sagen: Es gab viele Cafés in der Bötzowstraße.

Als ich das richtige Haus gefunden hatte, dämmerte es schon leicht. Ich drückte die schwere Altbau-Holztür auf und hoffte, Herrn Schneider noch anzutreffen. Es war früher Abend, sicher war er zu Hause. Durch das hohe Treppenhaus strömten Essensgerüche, vermischt mit Kindergeschrei und vielstimmigem Palaver vom Café im Parterre. Als ich die hohen Holzstufen aufstieg, fasste ich mit jedem Knarren des alten Holzes mehr Hoffnung. Herr Schneider war ein freundlicher Herr, sicher würde er es verstehen, dass ich später kam.

Herr Schneider war nicht da.

Niedergeschlagen überlegte ich, was ich tun würde. Nach Minuten unschlüssigen Wartens vor seiner Tür schritt ich die alten Stufen langsam wieder herunter. Vielleicht würde ich eine Weile vor dem Haus warten. Unten im Hausflur kam mir Herr Schneider entgegen. Ich sprach ihn an, weil er den Briefkasten mit seinen Namen öffnete. Ich hoffte wieder, dass er mir meine Verspätung verzieh.

Herr Schneider verzieh mir natürlich. Er war eben ein freundlicher, älterer Herr, sehr sympathisch.

 Das Geschäft kam nicht zustande. Herr Schneider war davon ausgegangen, dass ich nicht mehr erscheinen würde, erklärte er mit freundlich. Und hatte den Brief bereits jemanden anders verkauft, und gerade eben zur Post gebracht. Traurig und müde kehrte ich in einer Kneipe ein, dem „Bötzow-Stuben“, einer alten, vielleicht heute noch existierenden Berliner Kneipe.

Nach dem zweiten Bier hellte sich meine Laune wieder auf. Es hatte auch etwas Gutes. Siebeneinhalbtausend gespart. Mehr oder weniger war ich sehr erleichtert und hatte wieder Freude im Herzen. Bald stand eine Familienfeier an, Hochzeitstag, in ein paar Monaten. Vera und ich waren dann 20 Jahre verheiratet. Beschwingt für ich mit einem Taxi ins Hotel und schlief gut und ruhig in dieser lauten, unbekannten Stadt.

Die Rückreise war entspannt, ich kam fröhlich zu Hause an. Vera wunderte sich zuerst, dass ich so gute Laune hatte, war mir doch „mein Brief“ durch die Lappen gegangen. Aber sie verstand mich und lächelte das Lächeln, in das ich mich vor zwanzig Jahren verliebt hatte.

Als wir etwa vier Monate später unseren Hochzeitstag zusammen feierten, hatte ich den unseligen Brief schon fast vergessen. Es war eine schöne, herzlich Feier, und unsere Tochter war auch da. Wir sahen Sabine viel zu selten, weil sie in Hannover nach ihrem Studium eine Stelle bei einem Kinderarzt angenommen hatte und selten nach Hause kam. Unser Wiedersehen war voller Freude, sie schien erwachsener als früher. Sabine schenkte mir ein Jahres-Abo des Briefmarkenspiegels, und überreichte mir augenzwinkernd einen Umschlag. „Papa, hab viel Freude“.

Wenn Sie nun denken, in dem Umschlag von meiner Familie wäre ein Bergedorf-Brief für meine Sammlung gewesen, wäre es sicher ein schönes „Happy End“ für meine kleine Geschichte. Vorerst muss ich Sie aber enttäuschen. Aber ich war glücklich, viel glücklicher als mich ein philatelistisches Sammlerstück machen konnte: Meine Familie schenkte uns, also meiner Frau Vera und mir, ein paar Urlaubstage in Bergedorf, in einer heimeligen, ruhigen Pension.

Es wurde der schönste Kurzurlaub meiner erwachsenen Jahre. Wir besichtigten gemeinsam die Orte meiner Kindheit, und ich hatte das herzliche Gefühl, mit meiner Frau und meiner Familie eine neue, besondere Verbundenheit zu haben. An einem sonnigen, und für norddeutsche Verhältnisse normalen, etwas windigen und frischen Nachmittag saßen wir beide unter einer alten, im frischen Wind wunderbar duftenden Linde auf der verwitterten Holzbank, die ich schon aus Kindertagen kannte. Vera sah mich glücklich an und sagte: „Du wirst Opa. Sabine wird ein gesundes Kind zur Welt bringen“. Es war eine glückliche Zeit. Und ich verstand Veras „seltsame“ Andeutungen aus den vergangenen Wochen. Sie hatte trotzdem nichts gegen meinen damals geplanten Kauf gesagt. Ich liebte meine Frau.

Zwei Abende vor unserer Abreise lernten wir in einer kleinen Gaststube am Rand von Bergedorf einen Heimatsammler kennen. Kennenlernen ist vielleicht das falsche Wort, weil Helge kannte mich wohl aus meinen frühen Kindertagen, meine Erinnerung war weniger scharf. Er hatte meinen Kameraden und mir aus der Schule wohl öfter mal Briefmarken geschenkt, wohl Marken, die er so übrig hatte. Ich erzählte ihm natürlich von meinem Berlin-Abenteuer. Helge machte große Augen. „Komm morgen Nachmittag zu mir, zum Tee“, sagte er in seiner typisch norddeutschen Mundart.

Am nächsten Tag bestaunte ich seine Sammlung in seinem Arbeitszimmer. Es waren wirklich kostbare Stücke darunter. Er hatte über viele Jahre eine Bergedorf-Heimatsammlung aufgebaut, angefangen in der Vorphilatelie bis in die heutige Zeit. Eine Vergleichbare habe ich nie zuvor gesehen. Und später übrigens auch nicht. Helge suchte im Regal nach einem Ordner. Vera saß bei ihrem Tee im Wohnzimmer und schwatze angeregt mit der Nachbarin, die eben mal vorbeigekommen war. Das schien normal zu sein bei Helge.

„Hast du den schon mal gesehen?“, fragte mich Helge und schob mir den aufgeklappten Ordner hin. Ich erkannte sofort den Brief auf einer Schwarz-Weißen Fotokopie.

 „Das ist der Brief … hast du den gekauft?“

„Fast. Für Neuntausend.“

Helge erklärte mir, dass das „eine ganz merkwürdige Geschichte“ war. Er hatte sich mit dem Verkäufer aus Berlin über den Preis geeinigt und hatte das Geld angewiesen. Ein paar Tage später bekam er von seiner Sparkasse einen Anruf, dass die Überweisung oder Geldanweisung, was immer das auch war, storniert wurde, weil das Konto nicht (mehr) existierte oder auch gesperrt war. Als er nachforschte, erfuhr Helge von einem Sammlerfreund, dass Herr Schneider verhaftet worden war. Offensichtlich hatte er schwunghaften Handel mit gestohlenen Antiquitäten betrieben, auch mit Münzen und wertvollen Briefen. Und war aufgeflogen. Er saß jetzt in Berlin-Moabit in Untersuchungshaft und wartete auf seinen Prozess. Nicht auszudenken gewesen, wenn ich den Brief gekauft hätte … Ärger wäre mir sicher gewesen, und die Siebeneinhalb für den Brief wären wohl ersatzlos weg gewesen. Ich sah meine „unglückliche“ Reise nun als glückliche Fügung. Offensichtlich hatte mein Schutzengel viel Arbeit mit mir gehabt, wegen meiner Beharrlichkeit, den Brief zu bekommen.

Zwischen Helge und mir entwickelte sich eine lange und tiefe Freundschaft. Leider verstarb er ein paar Jahre später, er erreichte ein hohes Alter von über 90 Jahren und war bis zu seinem Ableben gesund und glücklich und lebte allein in seinem Haus in Bergedorf, mit gelegentlichen Besuchen von seiner Nachbarin. Da er keine engen Verwandten hatte, vererbte er mir seine umfangreiche Bergedorf-Sammlung. Meine doch tiefe Trauer kämpfte mit glücklichen Gefühlen wegen der geerbten und ohne Zweifel kostbaren Sammlung, und ich schäme mich immer noch etwas dafür, wenn ich daran denke.

Heute, über dreißig Jahre später, denke ich manchmal mit warmen Herzen an die alte Geschichte zurück, wenn ich mir Helges Sammlung ansehe. Seine wunderbare Heimatsammlung habe ich so gelassen, wie sie war, nur ein paar schädliche Folien habe ich entfernt, aber an der Sammlung selbst habe ich nichts geändert. Es wäre ein Sakrileg gewesen. Vera ist immer noch an meiner Seite, und wir sind nun ein halbes Jahrhundert verheiratet und noch recht rüstig, auch wenn uns ein paar „Zipperlein“ plagen. Leider hat Sabines Sohn, mein Enkel Christian, kein Interesse an der Briefmarkensammelei. Aber seine kleine Tochter, fast vier Jahre alt und ziemlich „unternehmungslustig“, wird immer ganz leise und bekommt große Augen, wenn sie mit Uropa die Bücher mit den bunten Zackenbildchen aufklappt. Ich habe noch Hoffnung.“



Wir sagen Danke

Die Faszination des Sammelns liegt nicht nur in den Objekten selbst, sondern auch in den Geschichten, Begegnungen und Erinnerungen, die sie begleiten.

Wir sind dankbar für jeden, der sich die Zeit genommen hat, seine Erfahrungen und Erinnerungen mit uns zu teilen. Danke, dass Sie diese Reise mit uns geteilt haben, und wir freuen uns auf viele weitere Erzählungen, Entdeckungen und geteilte Leidenschaften in der Zukunft.